Sonntagmorgen.
Nicht ausgeschlafen,
aber der Hund muss bewegt werden. Ich sitze auf der Rückenlehne
einer Bank im Park, trinke kleine Schlucke vom Coffee-to-go und denke
mit trägem Hirn über die Welt nach. Andere Hundehalter schlurfen an
mir vorbei, manche noch, andere schon beinahe wach. Mir fällt auf,
dass das Mittel der männlichen Hundehalter verschlafener aussieht
als das Mittel der weiblichen. Wobei „verschlafener“ nicht
tatsächlich den Unterschied beschreibt, der mir auffällt.
Geschminkter, frisierter, dekorierter sind die Damen bereits jetzt,
was dazu führt, dass die Herren eben verschlafener aussehen.
Ich selbst trage momentan Parka über
Schlafanzug, die Schminke von gestern als Schatten unter den Augen
und die Kapuze tief in der Stirn. Zeit für Hygiene hatte ich keine,
zu dringend waren des Hundes Bedürfnisse. Selbst als Mann bekäme
ich gerade das Prädikat: Sehr verschlafen.
Gesellschaftliche Meinungsmache wie
z.B. Gottes Omnipotenz wurde von einem großem Sortiment anderer
Doktrinen abgelöst: Sehr lange war beispielsweise der Feminismus
sehr wichtig. Trotz aller Notwendigkeit ist es dem aber selten
gelungen, eine wirklich gute Figur zu machen. Das hört man schon am
Genus: Der Feminismus. Ungeschickt.
Der Feminismus jedenfalls hat es bisher
nicht geschafft, den Konsens herzustellen, dass egal ist, wie man
aussieht, wenn man eine Frau ist. Finde ich. Jetzt, verschlafen,
zerzaust, im Park. Natürlich ist Aussehen auch bei Männern wichtig,
aber nicht ganz so absolut.
Man denke an die Schwarzer-Brigade:
Heels verboten, Röcke verboten, Decollettè nur an ansonsten
Wallendem gebilligt. Schminken blöd, Schmuck blöd. (Mit Ausnahme
von großen, bunten Kugeln aus organischem Material, an Schnüren
aufgereiht, über entobjektisierten Decollettès baumelnd)
Oldschool-Feminismus eben. Männer sind
Schweine, wer sich ihnen qua sexy Klamotte anbiedert auch.
SlutWalks beziehen sich demnach nicht
nur auf die Täter-Opfer-Umkehr im Bereich des sexualisierten
Verbrechens, sondern richten sich auch gegen die eigenen Reihen:
Fight lookism. Fuck off, moralisch überlegene Bioladentante von um
die Ecke mit dem missbilligenden Blick. Auch die Schwarzer-Doktrin
wurde überholt.
Der Kaffee ist leer, ich verlasse den
Park.
Denke darüber nach, ob mein aktuell
demonstriertes Mies-Aussehen vielleicht ein kleiner, persönlicher
SlutWalk sein könnte. Oder vielmehr ein UndoneWalk. Gegen zwanghaft
unverschlafene Frauen.
Bemühe mich, die fehlende
feministischen Propaganda zu definieren, die es mir möglich machen
würde, mich in einem Moment wie diesem – in authentischem
Out-of-bed-look – nicht blöd zu fühlen.
Überlege, ob wirklich der Feminismus
versagt hat, oder ob das Aussehens-Imperativ nicht dem Kapitalismus
zuzuordnen ist: Schönheitsideal, Haarfärbemittel, Hautstraffung.
Komme dann darauf, dass das Gros der
Menschheit sich schon immer um die eigene Attraktivität geschert hat, sich
also auch prä-kapitalistisch mit Kaurimuscheln oder Bärenklauen
behängt, beziehungsweise sich Blüten ins Haar geflochten oder
farbigen Lehm ins Gesicht geschmiert hat.
Ein paar Meter vor mir sitzt ein Typ
auf einer Bank. Etwa mein Alter, ganz klar noch wach weil eben noch
nicht nüchtern genug, um heimzugehen.
Zwischen ihm und mir führt eine ältere
Dame ihren Handtaschenhund spazieren. Der scheißt einen
Handtaschenhundehaufen zu Füßen des dichten Typs. Dieser
echauffiert sich wortgewaltig über die Sauerei.
Leider nutzt auch mein dummer Hund just
diesen Moment, um seine Notdurft zu verrichten. Kacke. Ich bücke
mich alibimäßig nach den Exkrementen und raschle mit einer eigens
für diesen Zweck erdachten Plastiktüte. Die Scheiße wirklich
aufzusammeln bringe ich nicht über mich, zu instabil schwappt der
Coffee-to-go mir im morgendlich labilen Magen.
„Hunde raus aus Berlin“ plärrt der
Typ die alte Dame an. Ich zerre meinen Hund über die Straße, um
Sicherheitsabstand zum Drogenopfer herzustellen.
Der Typ jedoch springt auf und eilt uns
nach. Ich verdrehe die Augen. Fühle mich einer direkten
Konfrontation zu so früher Stunde noch nicht gewachsen.
Auf gleicher Höhe mit mir linst mir
der junge Mann unter die Kapuze. Ich spähe zurück und sehe
Partyschäden: Spülwasserfarbene Haut, zu viele Piercings, zu große
Pupillen. Mein Snobismus, den ich normalerweise verleugne, wird
getriggert und schüttelt alle Müdigkeit von sich ab.
Soll er mir doch dumm kommen, der
Hundehasser. So jemand imponiert mir schlicht und ergreifend
überhaupt nicht!
Herausfordernd halte ich den
Blickkontakt.
Der Typ zieht eine kleine Flasche
Schnaps aus der Jackentasche, schaut unerwartet freundlich und hält
mir die Flasche hin. „Willste einen?“ fragt er, lächelt und
entblößt dabei eine Reihe übler Zähne.
„Äh, danke, ist noch bisschen früh.“
Stammle ich, perplex ob der überraschenden Friedfertigkeit.
Ob er mich kennenlernen könne? Möchte
der Typ wissen. Aus der Nähe betrachtet ist er doch 'ne ganze Ecke
jünger als ich, Anfang Zwanzig vielleicht.
Ich murmele freundlich Abwehrendes, von
wegen vergeben, tut mir leid und so. Er nickt, bedauert, zischt ab.
Als sich mir erschließt, was gerade im
Hirn dieses bemitleidenswerten Jungen vor sich gegangen sein muss,
trifft mich beinahe der Schlag: Er hat mich als Anhängerin seiner
eigenen Kultur interpretiert, mein Äußeres muss in ihm die
Vermutung genährt haben, dass ich sehr gerne Sonntagmorgen gegen
viertel nach sieben einen kleinen Feigling mit ihm trinken würde.
Jesus fucking Christ.
Dafür können Feminismus, Kapitalismus
und der Typ mit den Partyschäden nichts. Ich ziehe mir die Kapuze
noch tiefer in die Stirn, so tief, als irgend möglich, und rausche
beschämt nach Hause.