Mittwoch, 12. April 2017

Broad minded




Dieser Artikel ist vom letzten Jahr, in eher satirischem Kontext entstanden und thematisch von gestern, weil Trump-Wahl-bezogen, allerdings bleibt das beschriebene Prinzip auch nach den Wahlen aktuell. 

250 Jahre nach der Aufklärung ist man gelandet im Zeitalter der Toleranz. Beziehungsweise der TOLERANZ, genau, TOLERANZ wird bei uns nämlich ganz groß geschrieben. Auf jeder einzelnen Fahne, die man so schwenkt. Ganz egal, ob man zur avantgardistischen US-Bevölkerung oder zum oldschool-Chic Mitteleuropas gehört- der kleinste gemeinsame Nenner ist die TOLERANZ, die wir uns alle auf's Banner geschrieben haben.
Wir sind TOLERANT gegenüber Menschen aus Schwellenländern (solange sie uns nicht auf der Straße nach Kleingeld anhauen) TOLERANT gegenüber dem Kleinbürgertum, TOLERANT sogar gegenüber Menschen, die ihre Kinder Maurice nennen (Kevin ist so 90er).
Das bedeutet: Gelästert wird nur, wenn's kaum jemand hört.
Unsere Gesellschaft bleibt trotzdem statisch, das kann man nicht wegtolerieren. Für die Statik übrigens kann man nix, hier darf getrost verwiesen werden auf Naturgesetze: Survival of the fittest/ most educated/ best dressed.
Die liberale Elite an der Spitze der Gesellschaftspyramide also gibt den Ton an, legt fest, was geschmacklos oder intolerant ist.
Was man übrigens nicht TOLERIEREN kann ist Intoleranz. Schließlich hat man die überwunden, sie ist gefährlich, eine Massenvernichtungswaffe. Weiß man ja: Milliarden Andersartige fielen ihr während der Menschheitsgeschichte zum Opfer.
So sind nur noch die Dummen intolerant, also muss man ihnen zwar alles andere, das aber nicht nachsehen.
Wer etwas auf sich hält ist mit Homos befreundet, mag Behinderte, steht auf Neger und Ureinwohner. Kurz: Minderheiten. Minderheiten sind super, Minderheiten sind kulturell.
Sie funktionieren heutzutage als Statussymbole.
Darf man den großen Denkern glauben schenken (und das sollte man. Immerhin hat jeder der großen Denker mindestens einen Transgender-Bekannten und ist damit unanfechtbar integer), ist die ganze TOLERANZ der Grund für den Supergau im weißen Haus (da gähnt die Leserschaft. Jaaaa, Trump, schoooon wieder...hach)
Kevin nämlich, den billig-Kinderschuhen inzwischen entwachsen, hat keine Lust mehr auf Friederikes' diskret angewiderten Gesichtsausdruck, wenn er Maurice aus der Kita abholt, in die auch Wilhelm geht (Friederikes Sohn).
Als Klempner verdient Kevin wenig, erlangt aber bei Reparaturarbeiten am Abflussrohr im Badezimmer Einblicke in Friederikes' und Wilhelms' Zuhause, in dem Bücherregale und ein Piano von einem Milieu zeugen, dass Kevin nur aus der Ferne beneiden, aber nicht verstehen kann.
Als ihm der Meister kündigt, geht Kevin auf die Straße. Proletarier aller Länder vereinigt euch, Ausländer raus, das Volk wird nicht gehört. AfD, Pegida, Pegida, Pegida!
Aber was hat Kevin mit Trump zu tun?
Genau. Kevin ist ein mitteleuropäisches Äquivalent zum White Trash, der genug davon hat, verhöhnt zu werden. Und aus genug Masse besteht, um Trump zu wählen. Zurück zu schlagen.
Was lernen wir daraus? Dass man die Intoleranz TOLERIEREN lernen muss. Das wäre dann INTOLERANZ. Ihgitt.
Dass man sich nicht mehr über Leuten mit blondierter Dauerwelle amüsieren darf, vor allem nicht heimlich. Über Fette. Über Bildzeitungsleser.
Dass man nicht nur nett sein, sondern wirklich aufhören muss, Personen mit silikoniertem Doppel-D und Leopardenkleid insgeheim zu verachten.
Dass man nicht distinguiert sein darf.
Dass man vielleicht sogar das eigene Kind Maurice oder Chiana nennen muss, um Kevin und Mandy ein Gefühl von Homogenität und Angenommensein zu vermitteln.
Ganz ehrlich: Das ist völlig unumsetzbar. Völlig.
Da erscheint es dann doch als das kleinere Übel, sich weiter über den Mauerbau zu entrüsten.

Samstag, 8. April 2017

Grau


Es ist Januar und es ist mild.
Die Sonne scheint, von den Dächern tropft es. Kies, ausgestreut um Passanten vor dem Ausrutschen zu bewahren, liegt schwarz in den Pfützen am Rinnstein, die sich morgens wieder heimtückisch mit Eis zugedeckelt haben und das Überqueren der Straßen gefährlich machen.
Überall verlieren die aufgeweichten Überbleibsel von Silvester ihre Farbe und verwandeln sich in Pappmatsch, der kaum zu unterscheiden ist von der Hundekacke, die jetzt überall aus dem schwindenden Eis auftaucht.
Ich laufe über das schwarze Kopfsteinpflaster und bin konsterniert ob der Menge der Hundehaufen. Sie sind unglaublich gut erhalten in Form und Farbe, nur den Geruch scheint das Eis mit sich genommen zu haben. Es sind viele. Hunderte, tausende Kilogramm Kacke, die da ungesehen unter Schnee und Eisdecke gelagert waren. Biomasse, ist die eigentlich brennbar? Falls ja, sehe ich hier eine echte Chance auf eine alternative Heizmethode. Man kennt doch das Klischee von Hindufrauen, die hinter den heiligen Kühen herlaufen, um deren Fladen erst zu trocknen und dann zu verheizen. Sicher könnte man Langzeitarbeitslose rekrutieren für diesen Job, den man dann nicht Scheißesammler, sondern irgendwie euphemistisch benennen könnte. Zwecks der political correctnes während der Namensfindung schlage ich den Vergleich zum Alchimistentum vor, das sich doch in etwa zum Ziel gesetzt hatte, Dreck in Gold zu verwandeln. 

Es ist April und viel zu kalt für diesen Monat. Grau draußen. Ich sitze vor dem Laptop und bemühe mich, den Lärm des Lebens mit den eigenen Worten zu übertönen.
Ich bin nicht depressiv.
Ich bin jung.
Neben mir steht Aufbackpizza, die vor einer Stunde noch warm war. Geschmacklich tut sich das nichts. Das erinnert mich an die winterlichen Tiefkühlhundehaufen vom vergangenen Januar.
Sind die nicht der unschlagbare Beweis dafür, dass der Zustand des Gefrorenseins dem Aroma abträglich ist? Die riechen doch nicht mehr nach dem Auftauen...?
Vielleicht starte ich eine Kampagne gegen Tiefkühlkost! Mit diesem Vergleich!
Der Gedanken gefällt mir. Das Ganze könnte ich ja damit begründen, dass Tiefkühlkost ökologisch einfach nicht zu vertreten ist. Mein grünes Mäntelchen.
Doch, ehrlich: Man muss sich mal den Spaß verbildlichen: Plakate für eine Tiefkühlkost? Nein danke! Kampagne zu designen: Man bräuchte Vorher-Nachher-Aufnahmen von Hundehäufen und Pizzazutaten. Einmal vor dem Einfrieren, einmal wieder aufgetaut: Der Hundehaufen sollte leicht mitgenommen aussehen, vielleicht ein bisschen eingefallen.
Da man Geruchsneutralität nur schwerlich fotografieren kann, schlage ich statt dessen einen dicken Stempel über das Bild vor: Stinkt nicht! Für das Nachherbild der Pizza nimmt man das übliche lätschige Ergebnis aus dem Umluftherd. Auch dieses Bild braucht einen Stempel: Schmeckt nicht! Sollte darauf stehen.
Naja. Ich stehe auf und laufe zum Spiegel. Nehme den Lippenstift und male meinem Spiegelbild einen Stempel: Denkt nicht! Finde das dann blöd, wische mit dem Ärmel und korrigiere: Stimmt nicht!

Donnerstag, 6. April 2017

Die wütende Dicke


Schwangersein ist furchtbar. Abgesehen von Rückenschmerzen, Kurzatmigkeit und Sodbrennen leidet man unter groteskem Aussehen.
Das letzte Mal schwanger war ich vor zwei Jahren. Und auch diese dritte Schwangerschaft machte aus mir vorübergehend einen fettpflunschigen Wal.

Vor zwei Jahren also fuhr ich höchstschwanger zum Baumarkt.
Angestrengt ob meiner 28 Extrakilo schleppte ich mich durch die Regale, auf der Suche nach einem jener Baumarktangestellten, die ihren Arbeitsalltag damit zubringen, sich vor fragenden Kunden zu verstecken und in dieser Disziplin nach einigen Arbeitsjahren eine unvergleichliche Geschicklichkeit entwickeln.
Ich fand keinen. Dafür wurde mein Kennzeichen ausgerufen. Nach der zweiten Durchsage war ich restlos sicher: Der gesuchte Fahrer des Wagens, der sich bitte umgehend zur Kundeninformation begeben sollte, war ich.
Ich watschelte also in die Richtung, die mir von der Decke baumelnde Schilder wiesen. „Watscheln“ musste ich, weil die Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten war, dass von „gehen“ keine Rede mehr sein konnte.
Vorbei an der Sanitärabteilung, deren Spiegelschränke ich mit abgewandtem Gesicht passierte, entlang der Freischneider und Rasenmäher, dann hinter der Lampenabteilung links Richtung Ausgang. Ein Marathon im Entengang, erschöpfend. Schließlich aber fand sich die Kundeninformation. Keuchend erreichte ich die Zielgerade.
Und da stand sie: Im mittleren Alter, unheimlich wütend, unheimlich fett.
Talkshow-fett, Bildzeitung-fett, unfassbar elefantös, selbst noch neben meinem gesegneten Leib. Noch viel massiver als der ungewöhnliche Körperumfang der Frau aber war ihr Zorn, sie versprühte richtiggehend Funken.
Nämlich war es ihr nicht mehr möglich, konnte ich dem wilden Gebrüll entnehmen, in ihr Auto zu steigen, das in der Parklücke neben dem meinem stand. Sie bekam die Türe nicht weit genug auf, zu nahe stand mein Wagen an ihrem. Ob ich eigentlich nicht parken könne?
Das kann ich an sich schon, ich kann für gewöhnlich auch antworten, aber die Wut der Frau war von solcher Urkraft, dass sie mir schlicht die Sprache verschlug.
Neben der Frau stand ihr Begleiter, lang und dünn, der schweigend auf den Boden starrte.
Hilfesuchend wandte ich den Blick an die Mitarbeiter des Baumarktes, die offenbar alle aus ihren Verstecken gehuscht gekommen waren, um diesem Ereignis aus der Nähe beizuwohnen.
Von denen aber war keine Hilfe zu erwarten, die meisten grinsten diskret vor sich hin.
„Da gibt es nichts zu lachen“ röhrte die Dicke, dabei versprühte sie nicht nur Funken, sondern auch Speichelspritzer. Ich watschelte einige Schritte rückwärts, um Sicherheitsabstand herzustellen.
Dabei fiel wohl der Blick der Dame auf meinen medizinballgroßen Bauch unter den handballgroßen Brüsten. Der großzügig ausladende Hintern entzog sich ihren Blicken, standen wir doch vis-a-vis. Irgendetwas jedenfalls an diesem Anblick raubte ihr für einen Moment die Fassung, ihr Mund öffnete und schloss sich mehrmals, ohne dass ihm Worte entwichen.
„Sie!“ brüllte sie finalmente, und richtete ihren Zeigefinger anklagend gegen meinen Bauch. „Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie so aus dem Auto aussteigen konnten!“
„Na, ganz offensichtlich doch.“ gab ich nach einer kurzen Pause zurück. Touchè.
Es entstand ein Moment der Stille, in dem mein Hirn die Frage generierte, warum der lange, dünne Begleiter der Dame das Auto nicht einen Meter aus der knappen Parklücke heraus fuhr, um ihr den Einstieg zu erleichtern. Gerade als ich begann, diesen Gedanken zu formulieren, wurde ich von einem Baumarktmitarbeiter unterbrochen, der mir freundlich vorschlug, doch mein Auto umzuparken.
Das tat ich dann auch. Unter den Blicken der Wütenden, mit der ich mich gemeinsam keuchend auf den Parkplatz geschleppt hatte, quetschte ich mich ins Wageninnere.
Dass mein Auto mittig zwischen den Parkbuchtmarkierungen stand, während ihres rechtsbündig abgestellt worden war, erwähnte ich nicht mehr.

Mittwoch, 5. April 2017

Ancient Supergirl

Wir stehen an der Haltestelle. Der Bus kommt, Doppeldecker, sich langsam voran schiebend und sämtliche Fahrzeuge überragend.
Wir waren einkaufen, auf dem Hinweg zu Fuß, am Ufer entlang, dann durch den Park. Jetzt sind die Einkäufe in unseren Rucksäcken verstaut, ziemlich schwer. Auf Zurücklaufen hat niemand Lust. Und da stehen wir also, in der Kälte, an der Haltestelle.
Es ist nämlich schon Ende März, aber kalt. Richtig kalt.
Darum sind wir froh, als der Bus vor uns hält.
Drinnen ist es voll, aber warm. Wir fahren an, um die Ecke.
Dann gibt es einen Ruck, ich schwanke, rudere, der Bus hält. Die Türen gehen auf. Niemand rührt sich.
Aussteigen, ab hier is Betriebsfahrt! Informiert der Busfahrer ungeduldig.
Ich rolle die Augen. Wir sind gerade erst in die Querstraße eingebogen, hier ist es genauso kalt wie an der ersten Haltestelle.
Alles steigt aus, friert, der Anschlussbus kommt freundlicherweise sehr prompt.
Wir fahren. Halten. Fahren. Ich schwanke, scheiß Verkehr.
Wir halten. Fahren nicht wieder los.
Immer noch nicht. Um uns her werden die Fahrgäste unruhig. Was denn los sei, wollen sie wissen. Ich auch. Also drängele ich mich mitsamt meinen 15 Kilo auf den Schultern nach vorne, um durch die Windschutzscheibe zu schauen.
Und da sehe ich sie: Weißer Haarknoten, energisches Kinn, Brille. Sie sitzt in ihrem Elektrorolli mitten auf der Straße.
Ich bin baff. Drei jugendliche Migranten poltern die Treppe des Doppeldeckerfahrzeugs hinunter und fassen in Worte, was ich sehe: Ey krass, die Oma blockiert voll den Bus, Alter.

Der Busfahrer ist überfordert, er könnte der Sohn, vielleicht sogar der Enkel der Oma sein. Sein Winken wird ignoriert, er seufzt. Ich bin froh, nicht in der Verantwortung zu sein, als er schließlich die Türen des Fahrzeugs öffnet und sich vorsichtig der Dame nähert.
„Ans Kottbusser Tor will ich!“ schreit sie, direkt zur Eröffnung.
„Ja aber... hier ist keine Haltestelle-“ der Busfahrer wendet sich ratlos an uns Fahrgäste, die wir alle grinsend hinter der Windschutzscheibe stehen und gaffen.
Ey Oma, jetz vapiss disch ma brüllt jemand von hinten. Die Oma bleibt majestätisch.
„Ans Kottbusser Tor!“ wiederholt sie.
„Dann müssen Sie zur nächsten Haltestelle gehen, ich darf Sie ab hier nicht-“ Der Busfahrer ringt die Hände.
Die Oma reagiert einfach gar nicht. Wir stehen. Mein Rucksack wird mit jeder Minute schwerer.
Als man die Rollstuhlrampe angelegt hat und die Dame in den Bus rollt, umspielt ein leises Lächeln des Triumphes ihren Mund. Das allerdings gleich wieder erlischt, da in den hinteren Reihen Gepöbel laut wird.
Einer, in Mantel und Nadelstreifen, entblödet sich nicht, der Oma persönlich die Meinung zu geigen. Von wegen Verspätung, Unverschämtheit und so weiter.
Die Oma reckt erst das Kinn, dann den erhobenen Mittelfinger der rechten Hand. Einfach so. Mitten ins Gesicht des fassungslosen Mannes.
Ich bin auch fassungslos. Vor Glück, vor Bewunderung. Als wir unsere Haltestelle erreichen, verbeuge ich mich andeutungsweise vor der Oma, wobei mich mein Rucksack massiv behindert. Ich sage ihr: „Verehrteste, Sie haben mir den Tag versüßt!“
Sie nickt mir zu. Direkt huldvoll. Als der Bus davon fährt, erwarte ich irgendwie, dass sie mir mit dem Handrücken winkt. Tut sie aber nicht.