Wir stehen an der Haltestelle. Der Bus
kommt, Doppeldecker, sich langsam voran schiebend und sämtliche
Fahrzeuge überragend.
Wir waren einkaufen, auf dem Hinweg zu Fuß, am Ufer entlang, dann durch
den Park. Jetzt sind die Einkäufe in unseren Rucksäcken verstaut,
ziemlich schwer. Auf Zurücklaufen hat niemand Lust. Und da stehen
wir also, in der Kälte, an der Haltestelle.
Es ist nämlich schon Ende März, aber
kalt. Richtig kalt.
Darum sind wir froh, als der Bus vor
uns hält.
Drinnen ist es voll, aber warm. Wir
fahren an, um die Ecke.
Dann gibt es einen Ruck, ich schwanke,
rudere, der Bus hält. Die Türen gehen auf. Niemand rührt sich.
Aussteigen, ab hier is Betriebsfahrt!
Informiert der Busfahrer ungeduldig.
Ich rolle die Augen. Wir sind gerade
erst in die Querstraße eingebogen, hier ist es genauso kalt wie an
der ersten Haltestelle.
Alles steigt aus, friert, der
Anschlussbus kommt freundlicherweise sehr prompt.
Wir fahren. Halten. Fahren. Ich
schwanke, scheiß Verkehr.
Wir halten. Fahren nicht wieder los.
Immer noch nicht. Um uns her werden die
Fahrgäste unruhig. Was denn los sei, wollen sie wissen. Ich auch.
Also drängele ich mich mitsamt meinen 15 Kilo auf den Schultern nach
vorne, um durch die Windschutzscheibe zu schauen.
Und da sehe ich sie: Weißer
Haarknoten, energisches Kinn, Brille. Sie sitzt in ihrem Elektrorolli
mitten auf der Straße.
Ich bin baff. Drei jugendliche
Migranten poltern die Treppe des Doppeldeckerfahrzeugs hinunter und
fassen in Worte, was ich sehe: Ey krass, die Oma blockiert voll den
Bus, Alter.
Der Busfahrer ist überfordert, er
könnte der Sohn, vielleicht sogar der Enkel der Oma sein. Sein
Winken wird ignoriert, er seufzt. Ich bin froh, nicht in der
Verantwortung zu sein, als er schließlich die Türen des Fahrzeugs
öffnet und sich vorsichtig der Dame nähert.
„Ans Kottbusser Tor will ich!“
schreit sie, direkt zur Eröffnung.
„Ja aber... hier ist keine
Haltestelle-“ der Busfahrer wendet sich ratlos an uns Fahrgäste,
die wir alle grinsend hinter der Windschutzscheibe stehen und gaffen.
Ey Oma, jetz vapiss disch ma brüllt
jemand von hinten. Die Oma bleibt majestätisch.
„Ans Kottbusser Tor!“ wiederholt
sie.
„Dann müssen Sie zur nächsten
Haltestelle gehen, ich darf Sie ab hier nicht-“ Der Busfahrer ringt
die Hände.
Die Oma reagiert einfach gar nicht. Wir
stehen. Mein Rucksack wird mit jeder Minute schwerer.
Als man die Rollstuhlrampe angelegt hat
und die Dame in den Bus rollt, umspielt ein leises Lächeln des
Triumphes ihren Mund. Das allerdings gleich wieder erlischt, da in
den hinteren Reihen Gepöbel laut wird.
Einer, in Mantel und Nadelstreifen,
entblödet sich nicht, der Oma persönlich die Meinung zu geigen. Von
wegen Verspätung, Unverschämtheit und so weiter.
Die Oma reckt erst das Kinn, dann den
erhobenen Mittelfinger der rechten Hand. Einfach so. Mitten ins
Gesicht des fassungslosen Mannes.
Ich bin auch fassungslos. Vor Glück,
vor Bewunderung. Als wir unsere Haltestelle erreichen, verbeuge ich
mich andeutungsweise vor der Oma, wobei mich mein Rucksack massiv
behindert. Ich sage ihr: „Verehrteste, Sie haben mir den Tag
versüßt!“
Sie nickt mir zu. Direkt huldvoll. Als
der Bus davon fährt, erwarte ich irgendwie, dass sie mir mit dem
Handrücken winkt. Tut sie aber nicht.
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