Mittwoch, 5. April 2017

Ancient Supergirl

Wir stehen an der Haltestelle. Der Bus kommt, Doppeldecker, sich langsam voran schiebend und sämtliche Fahrzeuge überragend.
Wir waren einkaufen, auf dem Hinweg zu Fuß, am Ufer entlang, dann durch den Park. Jetzt sind die Einkäufe in unseren Rucksäcken verstaut, ziemlich schwer. Auf Zurücklaufen hat niemand Lust. Und da stehen wir also, in der Kälte, an der Haltestelle.
Es ist nämlich schon Ende März, aber kalt. Richtig kalt.
Darum sind wir froh, als der Bus vor uns hält.
Drinnen ist es voll, aber warm. Wir fahren an, um die Ecke.
Dann gibt es einen Ruck, ich schwanke, rudere, der Bus hält. Die Türen gehen auf. Niemand rührt sich.
Aussteigen, ab hier is Betriebsfahrt! Informiert der Busfahrer ungeduldig.
Ich rolle die Augen. Wir sind gerade erst in die Querstraße eingebogen, hier ist es genauso kalt wie an der ersten Haltestelle.
Alles steigt aus, friert, der Anschlussbus kommt freundlicherweise sehr prompt.
Wir fahren. Halten. Fahren. Ich schwanke, scheiß Verkehr.
Wir halten. Fahren nicht wieder los.
Immer noch nicht. Um uns her werden die Fahrgäste unruhig. Was denn los sei, wollen sie wissen. Ich auch. Also drängele ich mich mitsamt meinen 15 Kilo auf den Schultern nach vorne, um durch die Windschutzscheibe zu schauen.
Und da sehe ich sie: Weißer Haarknoten, energisches Kinn, Brille. Sie sitzt in ihrem Elektrorolli mitten auf der Straße.
Ich bin baff. Drei jugendliche Migranten poltern die Treppe des Doppeldeckerfahrzeugs hinunter und fassen in Worte, was ich sehe: Ey krass, die Oma blockiert voll den Bus, Alter.

Der Busfahrer ist überfordert, er könnte der Sohn, vielleicht sogar der Enkel der Oma sein. Sein Winken wird ignoriert, er seufzt. Ich bin froh, nicht in der Verantwortung zu sein, als er schließlich die Türen des Fahrzeugs öffnet und sich vorsichtig der Dame nähert.
„Ans Kottbusser Tor will ich!“ schreit sie, direkt zur Eröffnung.
„Ja aber... hier ist keine Haltestelle-“ der Busfahrer wendet sich ratlos an uns Fahrgäste, die wir alle grinsend hinter der Windschutzscheibe stehen und gaffen.
Ey Oma, jetz vapiss disch ma brüllt jemand von hinten. Die Oma bleibt majestätisch.
„Ans Kottbusser Tor!“ wiederholt sie.
„Dann müssen Sie zur nächsten Haltestelle gehen, ich darf Sie ab hier nicht-“ Der Busfahrer ringt die Hände.
Die Oma reagiert einfach gar nicht. Wir stehen. Mein Rucksack wird mit jeder Minute schwerer.
Als man die Rollstuhlrampe angelegt hat und die Dame in den Bus rollt, umspielt ein leises Lächeln des Triumphes ihren Mund. Das allerdings gleich wieder erlischt, da in den hinteren Reihen Gepöbel laut wird.
Einer, in Mantel und Nadelstreifen, entblödet sich nicht, der Oma persönlich die Meinung zu geigen. Von wegen Verspätung, Unverschämtheit und so weiter.
Die Oma reckt erst das Kinn, dann den erhobenen Mittelfinger der rechten Hand. Einfach so. Mitten ins Gesicht des fassungslosen Mannes.
Ich bin auch fassungslos. Vor Glück, vor Bewunderung. Als wir unsere Haltestelle erreichen, verbeuge ich mich andeutungsweise vor der Oma, wobei mich mein Rucksack massiv behindert. Ich sage ihr: „Verehrteste, Sie haben mir den Tag versüßt!“
Sie nickt mir zu. Direkt huldvoll. Als der Bus davon fährt, erwarte ich irgendwie, dass sie mir mit dem Handrücken winkt. Tut sie aber nicht.

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